ANNE CUTRELL

 

Die Hand einer Dame

 

Als ich auf meinem Esel in das bunte Zeltlager ritt, sah ich mich wie üblich neugierig um, unersättlich neugierig. Es war ein idealer Tag für ein Turnier: die Luft so frisch und klar – nicht zu heiß für die in schweren Rüstungen eingesperrten Ritter … Dass die Sonne schien, freute natürlich die adeligen Damen, die ihre feinsten, leuchtend bunten Gewänder angelegt hatten.

Troubadoure schlenderten vorbei, sehr bemüht, ihre Herren zu unterhalten und sich selbst zu amüsieren. Die Luft summte von Geplauder, Geschwätz, von Musik, dem Klirren der Panzer und Waffen, dem ungeduldigen Schnauben und Stampfen der Pferde.

Ich ließ meinen Esel dem Stalljungen, und er wies die Münze, die ich ihm hinhielt, nach einem Blick auf meinen schlichten Rock freundlich zurück. Also segnete ich ihn und machte mich auf die Suche nach dem Hauptzelt.

Das Turnier ging, wie üblich, um die Hand einer jungen Dame, und zwar um die der einzigen Tochter Lord Briers. Es sollte bald beginnen, aber es trafen immer noch Teilnehmer ein. Und Lord Brier begrüßte sie alle, bat sie ins Hauptzelt, auf dass sie der jungen Dame … dem Preis … die Reverenz erwiesen. Ich verfolgte die Ankunft der hoffnungsvollen jungen Streiter immer gern, weil ich da Gelegenheit hatte, mir früh meinen Favoriten auszuwählen.

Heute kannte ich ihn schon. Gesehen hatte ich ihn allerdings nicht, denn er war sehr früh gekommen, zu früh selbst für eine Begrüßung durch Lord Brier. Mark Barden von Tor Aspen hieß er, und er war mir von der Wiege her bekannt, da ich ja vor meinem Eintritt ins Kloster ein paar Jahre in Tor Aspen gelebt hatte. Er genoss meine Wertschätzung nicht nur, da er ein versierter Kämpfer war, sondern auch, weil er damals als Einziger von vier Brüdern nie die bei Jungen übliche Grausamkeit gegenüber Tieren gezeigt hatte. Ich hätte ihn gern in seinem Zelt besucht, ließ es aber doch sein, da ich wusste, dass den meisten Streitern jede Störung vor so einem Turnier verhasst war.

Die festgelegte Stunde kam. Der Gastgeber, Lord Brier, ging los, um das Treffen zu eröffnen. Sein Waffenmeister und ich wollten ihm, da mit dem Eintreffen weiterer Teilnehmer ja wohl nicht zu rechnen war, bereits folgen, als doch noch ein Nachzügler erschien. Er trug eine schlichte, aber feldtaugliche Rüstung und dazu einen einfarbigen braunen Schild. Den Helm hatte er schon aufgesetzt und das Visier heruntergeklappt, sodass man von seinem Gesicht nichts sah.

Natürlich ließ der Rüstherr ihn nicht unkontrolliert durch – bei all den Fehden, die damals im Gange waren, konnte man ja nicht vorsichtig genug sein. Er hieß also den jungen Ritter, den Helm abzunehmen.

Der gehorchte, wenn auch widerwillig. Kurzes braunes Haar hatte er und ein schmales, pfiffiges Gesicht … Ja, mit den großen braunen Augen und dieser zierlichen Statur wirkte er beinahe wie –aber nein, dachte ich und verwarf den Gedanken als zu absurd.

Ich hätte gern gewusst, wer das war, aber der Meister winkte ihn, nach einem kurzen erstaunten Brummen, ins Zelt. Und als der Unbekannte dann bald danach herauskam, war sein Gesicht wieder unter dem Visier verborgen.

Das Turnier begann mit der üblichen Parade aller Teilnehmer auf ihren stattlichen, edlen Rossen. Mein seltsamer Fremder, der am Ende der Reihe ritt, wirkte etwas deplatziert, mit seinem schlichten braunen Aufzug und dem Pferd von eindeutig minderem Geblüt … Er hatte dem Herold offenbar seinen Namen genannt, wurde er doch jetzt als »Elwen Trumen« angekündigt. Was jedoch das Geheimnis, das ihn umgab, keineswegs lüftete. Niemand wusste, wer er war und aus welchem Hause er kam. Nun, sein Auftritt gab diesem Ereignis jedenfalls ein gerüttelt Maß an Spannung …

Auch ein wenig ungewöhnlich war der Umstand, dass die bewusste junge Dame sich nicht sehen ließ. Dem Gerede ringsum entnahm ich, sie hänge Gleichheitsideen an und schätze es gar nicht, so umkämpft zu werden wie ein Knochen von einer Hundemeute. Verständlich, wo sie doch mit ihrem einzigen Bruder aufwuchs und oft auch dessen einziger Spielgefährte war.

Nun nahm das Turnier den üblichen Fortgang: mit einem wilden Getümmel – einer Art Scheingefecht, das sich zumeist in eine Reihe von Zweikämpfen auflöst … Zuerst wurden die Ritter in zwei Gruppen eingeteilt, die sogleich mit eingelegten Lanzen aufeinander losgingen. Sobald die meisten Kämpfer abgeworfen waren, folgte der Nahkampf. An Waffen benutzten sie ziemlich alles … von schweren Schwertern über Hellebarden bis zu Keulen und Netzen. Es war weder ungewöhnlich noch unritterlich, dass sich mehrere Kämpfer auf einen stürzten, vor allem, wenn der Rang und Namen hatte. Besiegte, Verwundete schickte man zum Feldscher, dass er nach ihnen sah. Ein Lösegeld an den Sieger … das wurde dann später, privat und in standesgemäßer Art, geregelt.

Einige Ritter kämpften bemerkenswert gut. Mark erkannte ich gleich an seinen Farben, Blau und Silber, seinem Waffenrock und Wappen – Balken in Silber und Azur, ein laufender Eber mit dem Zeichen eines Zweitgeborenen darüber: dem schwarzen Halbmond. Er war äußerst stark und schien unermüdlich. Ich freute mich, obwohl ich nicht auf ihn gewettet hatte, über seinen prächtigen Stand.

Über den geheimnisvollen fremden Ritter waren viele Gerüchte im Umlauf. Die Spekulationen reichten von »ein verkleideter reicher Prinz« bis zu »junger Held halbadliger Herkunft, der sich in besagte Dame verliebt und doch den Mut gefunden hat, um sie zu kämpfen«. Er schlug sich auch erstaunlich gut … Zwar fehlte es ihm an roher Kraft, aber das machte er durch Schnelligkeit und Intelligenz wett. Die erfahreneren Ritter ließen ihn unbeachtet und kämpften gegen ihresgleichen. Und er ließ sie gewähren, einander ausschalten, während er seine Kräfte schonte, indem er gegen weniger erprobte Leute focht. So viel taktische Klugheit war ungewöhnlich für einen jungen Kämpfer und machte ihn, zusammen mit seiner ausgezeichneten Schwertführung, zu einem ernst zu nehmenden Gegner.

Der Tag verging, langsam, aber unaufhaltsam, und ein Kämpfer nach dem anderen schied aus, bis es schließlich zum letzten, entscheidenden Strauß zwischen Mark und dem seltsamen »Elwen Trumen« kam. Natürlich wünschte ich Mark den Sieg. Aber ich fragte mich doch, wie er mit diesem behänden Jüngling fertig werden wollte …

Der Kampf begann, und die zwei schienen einander ebenbürtig. Sie ließen Hagel von Hieben aufeinander prasseln, und keiner von den beiden wich oder wankte. Mark führte seinen schweren Zweihänder, sein Gegner ein leichteres, kürzeres Schwert und ein langes Messer. Sie umkreisten einander, schlugen nun zu, wichen und attackierten. Irgendwann taumelte der junge Mann dann doch, taumelte bald noch einmal. Die Länge des Turniers zeigte bei ihm Wirkung. Marks Kraft aber war ungebrochen.

Schließlich lag der Jüngling ohne Schild und Waffe im Staub. Mark trat jetzt triumphierend über ihn, schnitt ihm mit der Schwertspitze den Helmriemen durch. Als der Helm zurückfiel, kamen die langen blonden Zöpfe und das Gesicht einer jungen Frau zum Vorschein!

»Elyta! Was in aller Welt? Warum?«, rief erstaunt Lord Brier aus seiner Loge.

Sie jedoch starrte mit ihren blauen Augen den Sieger an. Ihr Gesicht war mit Staub und Blut und Schweiß bedeckt, und der Atem ging ihr schwer.

Und sie beantwortete nur die zweite Frage. »Ich verdiene das Recht, über mein Los zu bestimmen, Vater, und so wollte ich es für mich selbst gewinnen.«

Nun nahm der Sieger seinen Helm ab, aber da kamen nicht die schwarzen Locken von Mark zum Vorschein, sondern die blonden Locken und die blauen Augen eines anderen Brier!

»Habe ich es dir nicht gesagt, dass ich diesen Kampf gewinne, Schwester?«, lachte er, nahm den Helm mit dem fremden Wappen unter den Arm und reichte der jungen Dame galant die Hand. »Nun, mir war es wichtig, dass es einer von uns sei, Gawain«, erwiderte sie, ohne die kleinste Irritation im Ton, »und du musst zugeben, dass ich das vorzüglich organisiert habe!« Und mit einem Lächeln ergriff sie seine Hand und zog sich daran hoch.

Der Lord starrte sie nur stumm an, unfähig all das zu verstehen. Da kam der zierliche Junge mit den großen braunen Augen aus ihrem Zelt … und er trug eine genauso schlichte Rüstung wie sie. Das hatte ich mir ja gedacht, dass der junge Mark bald erschiene, um zu sehen, welcher Erfolg dem Bemühen seiner Freundin beschieden war.

Gawain aber wandte sich an die Versammlung und sprach: »Ich habe die Hand dieser jungen Dame gewonnen, in fairem Kampf, gemäß dem Gesetz unseres Königs. Als ihr Bruder kann ich sie aber nicht heiraten. So gebe ich sie ihr wieder zurück, zu ihrer freien Verfügung … sei es nun zum Nähen, Kochen oder Kämpfen!«

Dann hielt er, salutierend, das Heft seines Schwerts an die Stirn – und Elyta dankte ihm mit einem Knicks und dem Raffen imaginärer Röcke.

Silberschwester - 14
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